Künstlerisches Erbe von Hummitzsch

Armin Forster im „Freisinger Tagblatt“:

40 Jahre nach Tod des Gründers: Moosburgs Malschule Hummitzsch hält sein künstlerisches Erbe lebendig

 

Vor 40 Jahren hinterließ Georg Hummitzsch Moosburg eine Malschule, die den Schülern weit mehr geboten hatte als Kunstunterricht. Sein Nachfolger hält daran fest.

 Dieses Leuchten war für den 14-jährigen Hans Werner Oswald eine Offenbarung: Im Gymnasium hatten sie doch stets nur mit pastoser, batziger Farbe in dumpfen Tönen malen sollen. Und jetzt saß dort an der Steinbockstraße dieser Mann, der Moosburgs Kirchtürme in strahlenden Aquarellfarben aufs Papier strich. Der Schüler schaute dem Fremden eine Weile fasziniert über die Schulter, ehe er daheim dem Vater davon erzählte. Der ahnte, wer der Maler war, und ermutigte den schüchternen Sohn zu einem Wiedersehen: mit Georg Hummitzsch – in dessen Kunstunterricht.

„Im Jahr 1959 war das“, erinnert sich Hans Werner Oswald heute. „Ich dachte damals nicht im Traum daran, dass dieser Schritt mein weiteres Leben auf Jahrzehnte hinaus beeinflussen, ja prägen würde.“ Aber das tat es.

Als Soldat nach Moosburg gekommen und den Amerikanern zeichnen „gelernt“

Bevor Hummitzsch so unbeschwert in der Dreirosenstadt malen konnte, musste er harte Jahre überstehen. Geboren 1898 in Leipzig, studierte er dort zunächst an der Kunstakademie. Dann kam der Erste Weltkrieg, in dem er viermal verwundet wurde. Zurück an der Akademie unterrichtete er nach Abschluss des Studiums selbst die Akt- und Porträtklasse. Parallel verdiente er sein Geld als freischaffender Künstler. Doch als die Nazis an die Macht kamen, wurde Georg Hummitzschs Arbeit bald als „entartet“ eingestuft.

Nach Moosburg führte den jungen Mann der Zweite Weltkrieg: Er diente als Kriegsberichterstatter im Stalag VII A und erlebte dort die letzten Jahre bis zur Kapitulation. Die Kleinstadt an der Isar muss ihm gefallen haben, denn er blieb. Seine Frau und die zwei Kinder ernährte er unter anderem, in dem er bis 1965 im Fliegerhorst Erding für das Art Institute der University of Maryland amerikanische Militärs und ihre Familien unterrichtete. Dort wurde er nicht nur als Professor betitelt, sondern auch zum Ehrenmitglied der International Mark-Twain-Society ernannt.

Die Liebe zum Porträt – zum einen das Ölgemälde „Stefan“ aus dem Jahr 1969 – zeichnete Georg Hummitzschs Kunst aus. Doch auch die örtlichen Kirchtürme waren stets ein gefragtes Motiv bei den Moosburgern

Vorbild als Mensch und Maler – und schlagfertig vor dem Pfarrer

Dass Georg Hummitzsch mit einem soliden Selbstbewusstsein gesegnet war, zeigt die Anekdote, die Oswald noch heute zum Lachen bringt: „Er hat ab und zu ein Aktmodell gemalt. Und natürlich, wie’s so ist, wenn man von der Kunst leben will, wurden die Bilder in die Auslage gestellt. Eines Tages kam der Pfarrer vorbei und hat ihn wegen ,dieser Ferkelei‘ zusammengeschimpft. Da meinte Hummitzsch: ,Was muss der liebe Gott erst für ein Ferkel sein, wenn er das alles gemacht hat?‘ Dem Pfarrer ist das Gesicht runtergefallen, bevor er wieder gegangen ist.“

Natürlich habe ihm und den anderen Schülern auch die Malerei ihres Lehrers imponiert, sagt Oswald. „Weil er so gemalt hat, wie ihm der Schnabel gewachsen ist.“ Seine Schüler habe er mit viel Geduld und Fingerspitzengefühl behandelt. „Wenn einer eine Nase zum hundertsten Mal verkehrt gemalt hat, erklärte er sie ein weiteres Mal.“ Aufbrausend oder besserwisserisch sei er hingegen nie gewesen.

Der Unterricht war spottbillig

In den Malpausen gab es Cola mit Keksen, erinnert sich Oswald, und nach den Stunden noch Fettbrote mit Schnittlauch und Salz. „Mit Sicherheit haben wir den Hummitzschs das Vielfache dessen weggefuttert, was wir als Bezahlung für den Unterricht abgeliefert hatten: nämlich fünf Mark im Monat.“ Zwei Termine pro Woche gab es dafür – schon damals spottbillig.

Gleichzeitig wurde in der Malschule alles gefeiert, was man feiern konnte: Geburtstage, der Ferienbeginn, bestandene Prüfungen, Pfingsten oder einfach Samstage. „Es hat immer viel zum Lachen gegeben, aber es ist auch immer sehr intensiv gearbeitet worden. Nur eben nie mit Bierernst.“

Noch heute existiert die Moosburger Hummitzsch-Malschule – inzwischen befindet sie sich im (und manchmal auch vor dem) Elisabethenheim an der Thalbacher Straße

Nachfolger Hans Werner Oswald hält an Tugenden fest – zum Leidwesen seiner Haare

Viele dieser Tugenden hat Hans Werner Oswald von seinem Meister übernommen, als er nach Georg Hummitzschs Tod am 31. Januar 1982 die Malschule fortführte. Er unterrichtete aber nicht nur dort: Generationen von Moosburgern lernten Oswald auch als beliebten Realschullehrer kennen und schätzen. In seinem Mathe-, Physik-, Sport- und natürlich Kunstunterricht traten viele Parallelen zu Hummitzschs Wesen an den Tag: Die Wissensvermittlung stand im Vordergrund, als Zuckerl gab es aber auch immer wieder eine Menge zu lachen. Und man hatte einen Pädagogen vor sich, der in jeder Lage Haltung ausstrahlte.

Wie geschickt und auch uneitel Oswald diese Eigenschaften verknüpfte, zeigt ein Beispiel, das wohl vielen Schülern unvergessen bleibt. Der Lehrer ging mit seinen Realschülern einmal eine Wette ein: Wenn sie einen bestimmten Notenschnitt schaffen, dürfen sie ihm nach Lust und Laune das graue Haar färben. Der Ansporn wirkte, und Oswald hielt Wort: Monatelang sah man ihn mit einem bunten Schopf in die Schule und durch die Straßen gehen, vor allem das Rosa hielt sich hartnäckig.

Wer schreiben kann, kann auch zeichnen lernen

Künstlerisch verbindet Oswald mit Hummitzsch die Liebe zum Porträt und das Interesse an Menschen. In den Werken beider lassen sich die Charaktere ihrer Modelle erahnen. Die Schüler der Malschule Hummitzsch – heute noch ein bunter Mix aus allen Altersstufen, treuen Anhängern sowie Neueinsteigern – können weiter darauf vertrauen, in ihren Bemühungen ernst genommen zu werden. „Wenn zu Hummitzsch jemand gesagt hat: Ich kann nicht zeichnen! Dann hat er gemeint: Hast du nicht schreiben gelernt? Natürlich. Dann kannst du auch zeichnen lernen“, zitiert Oswald. „Das hab’ ich übernommen.“

Jeder habe typische Anfängerschwächen. „Aber das ist mir nicht wichtig, ich habe keine elitären Ambitionen. Ich will, dass die Leute bei mir merken: Malen und Zeichnen erfordert Konzentration und Anstrengung, wenn man’s gescheit machen will.“ Einen Fortschritt zu erfahren, dazu wolle er seinen Kursteilnehmern verhelfen. Und das alles ohne Vereinsmeierei.

40 Jahre kostenlos unterrichtet: Dem heutigen  Leiter der Malschule Hummitzsch, Hans Werner Oswald, dankte nun stellvertretend für die Kursteilnehmer Maria Hirschpointner.

Der Malkurs sehnt sich nach dem Frühling

Die Geselligkeit, die den Malkurs schon unter seinem Gründer so beliebt machte, sie wäre eigentlich auch jetzt noch zu finden. Doch launige Weinabende, wilde Faschingssausen und alles andere, was rund um die Zeichenblöcke für Gaudi sorgt, musste in der Pandemie zurückgefahren werden. Aktuell sehnt die Gruppe den Frühling herbei, wenn sie im Garten des Elisabethenheims – der heutigen Heimat der Malschule – wieder an der frischen Luft und ohne Ansteckungsrisiko zu Pinsel, Kreide und Stift greifen kann. Bis dahin wechselt sich die Besetzung im Inneren der Malschule ab: damit die Abstände eingehalten werden können, und die Leute dennoch Unterricht für ihre Beiträge bekommen, mit denen letztlich die Miete bezahlt wird.

Seit 40 Jahren verwaltet Hans Werner Oswald nicht nur das künstlerische Erbe von Georg Hummitzsch, sondern leitet den Unterricht auch komplett unentgeltlich. Der 77-Jährige erklärt das wie folgt: „Aus tiefer Dankbarkeit ihm gegenüber versuche ich, die Malschule in seinem Sinne weiterzuführen.“